Die Diagnose einer Krebserkrankung ist immer ein Schock. Nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für die Angehörigen. Das ganze Lebensgefüge scheint auf einmal im Ungleichgewicht zu sein. Man weiss weder ein noch aus. Eine solche Erstreaktion ist völlig normal. Es sollte auch versucht werden, diese Gefühle, mögen sie noch so extrem sein, zuzulassen.
Die meisten Familien sind, vor einer solchen Diagnose, völlig unwissend in Bezug auf eine solche Krankheit, Behandlungsmöglichkeiten und den entsprechenden Umgang. Oftmals ist auch zu beobachten, dass man eine Therapie, so wie es der Arzt vorschlägt, möglichst schnell hinter sich bringen will, damit man „die Krankheit los ist“ und sich wieder dem so lieb gewonnen Alltag zuwenden kann. Es ist normal, dass die „Vogel Strauss-Taktik“ angewendet wird, denn es könnte ja sein, dass alles nur ein böser Traum ist.
Leider lässt es sich nicht umgehen, einen persönlichen Prozess zu durchlaufen. Und dies gilt für alle Mitglieder der Familie. Dabei darf nicht ausser Acht gelassen werden, dass nicht nur der Betroffene gefordert und von Ängsten geplagt wird, sondern auch das unmittelbare Umfeld. Man könnte sagen, dass die Familie „Co-erkrankt“. Dieser Begriff ist aus der Suchttherapie entliehen und beschreibt Personen, die dem Erkrankten nahestehen und sich mit ihm und seiner Krankheit identifizieren resp. solidarisieren.
Geht man vom Beispiel eines Ehepaares aus, wo die Frau an Krebs erkrankt. Es ist häufig folgendes Muster zu erkennen: Die Frau ist verzweifelt, hat Angst und sucht Halt. Der Mann hingegen versucht die Existenz zu erhalten. Er versucht den Alltag zu regeln und mit organisatorischen Mitteln weiter zu funktionieren. Damit das gelingt, darf er seinen Gefühlen keinen freien Lauf lassen, denn sonst verliert er die Kontrolle und entspricht nicht seinen (sich selbst gesetzten) Anforderungen und seinem Denken, einem „sorgenden Ehepartner“ gerecht zu werden. – Die Frau hingegen sehnt sich nach Zuneigung, gemeinsamer Zeit, Gesprächen und Geborgenheit. Diese Bedürfnisse können nicht durch die funktionalen Gebärden des Mannes gedeckt werden. Es lässt sich hier einfach erkennen, dass eine solche Problematik auf die Andersartigkeit zwischen Mann und Frau und deren Rollenverständnis zurückzuführen ist. Die Diagnose einer Krankheit wie Krebs ist also nicht nur eine körperliche Herausforderung, sondern auch eine grosse Herausforderung für jedes Paar.
Wir alle brauchen Gesprächspartner
Auch wenn es zu Anfang genügend Zeit für die Verarbeitung einer solchen Diagnose braucht, so soll doch nicht zu lange auf professionelle Hilfe verzichtet werden. Beide Parteien brauchen einen Gesprächspartner, brauchen Raum um ihren eigenen Gefühlen und Sorgen Luft zu machen, und wo er/sie im Mittelpunkt des Gespräches stehen. Durch eine therapeutische Begleitung, sei dies in Einzel- oder Paarsitzungen, können die gegenseitigen Vorwürfe minimiert resp. relativiert und das Verständnis für den Partner maximiert resp. optimiert werden. Hier sollte noch einmal darauf hingewiesen werden, dass nicht nur der eigentliche Patient, sondern auch die ganze Familie vor einem neuen Lebensabschnitt steht.
Falls auch Kinder in der Beziehung sind, ist es wichtig offen zu kommunizieren. Dies ist nicht immer zu Beginn möglich und es gibt auch keinen klar definierten Zeitpunkt, welcher als ideal gilt. Abhängig vom Alter der Kinder, dem Verlauf der Krankheit und dem eigenen Umgang, kann sich der zeitliche Aspekt ganz anders gestalten. Lügen Sie Ihre Kinder nicht an, wenn sie fragen, tasten Sie sich langsam und behutsam an das Thema heran und versuchen Sie, die Sachverhalte als auch Ihre eigenen Emotionen so verständlich wie möglich zu vermitteln. Hören Sie auf Ihr Gefühl und Ihre Intuition, denn diese werden Sie auch in Zukunft immer begleiten!
Die Aussage „Sie hat Krebs“, ähnlich der Aussage „Sie hat Familie“ veranschaulicht klar den Identifikationsprozess und die damit verbundenen Risiken. Eine Krankheit kann nicht wegdiskutiert und auch nicht ausgeklammert werden, dennoch darf sie nicht den Platz „eines Familienmitgliedes“ einnehmen. Die Belastung ist gross genug, ohne dass die Krankheit zum Thema Nummer Eins wird. Versuchen Sie deshalb „Entspannungsinseln“ einzubauen, in welchen Sie sich etwas gönnen, etwas mit der Familie unternehmen oder etwas aufgreifen, das Sie schon immer gerne machen wollten. Gestatten Sie nicht nur der Krankheit einen Platz in Ihrem Leben, sondern auch Ihren Wünschen, Vorstellungen, Hoffnungen und Leidenschaften. Sie werden sehen, dass Sie sich auf diese Weise vielleicht sogar mehr Raum geben als zuvor.