«Hier und Jetzt»: der Blog

Körpertherapie, Prozessbegleitung, Stressbewältigung

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Willkommen im Hier und Jetzt – Vom Umgang mit Schmerzen

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Viele von uns haben, bedingt durch unsere Lebensumstände, Gelassenheit und Achtsamkeit verloren (oder auch nie gehabt). Wir reden schnell, handeln schnell und unsere Gedankenkarussell halten uns vom Schlafen ab. Getrieben von Gedanken und gepeinigt von Schmerzen – Alltag der westlichen Gesellschaft. Aber es kann auch anders sein!

 

Am Universitätsklinikum Freiburg wurde anhand verschiedener Studien mit chronischen Schmerzpatienten nachgewiesen, dass sich das Schmerzempfinden der Patientinnen und Patienten um ein Vielfaches verbessert, wenn sie an einem achtwöchigen Gruppen- oder Einzelkurs in achtsamkeitsbasierender Stressbewältigung (MBSR) teilnahmen. Sie übten sich in Meditation, Körperwahrnehmung und Yoga und lernten dabei, anders mit ihren physischen Symptomen umzugehen. Dieselben physischen Zustände wurden anschliessend als wesentlich weniger wahrgenommen. Bei einer Kontrollgruppe, die lediglich Entspannungsübungen machte und psychologisch begleitet wurde, hatte sich das Schmerzempfinden kaum verändert. Es waren also die Wahrnehmungs- und Achtsamkeitsübungen, die den Schmerzpatienten zu einem besseren Lebensgefühl verhalfen. Sie ermöglichten ihnen, dieselben physischen Zustände anders zu bewerten. Die Patientinnen und Patienten eroberten sich durch die Aufmerksamkeitsübungen die Freiheit zurück, ihre Körperwahrnehmungen nicht unmittelbar als Schmerz interpretieren zu müssen (Knapp, 2008).

Der Leiter des Freiburger Forschungszentrums, Stefan Schmidt, erläuterte das Ergebnis mit folgender Formel: Leiden = Schmerz x Widerstand. Sogar chronischer Schmerz ist also keine rein physische Angelegenheit. Diese Aussage ist sehr deutlich. Ein Schmerz führt zu physischer und psychischer Anspannung, je grösser diese wird, desto intensiver zeigt sich der Schmerz. Die spiralförmige Aufwärtsbewegung führt irgendwann zu daraus resultierendem Leiden. Egal wie intensiv und langanhaltend sich Schmerz und / oder Anspannung zeigt; wenn eine Aufwärtsbewegung möglich ist, gibt es auch eine Abwärtsbewegung:

Ein bewusstes Sein im Hier und Jetzt ist ein zentraler Aspekt in der Stressbewältigung. Dies erfolgt nicht über irgendeine abgehobene Art von Heilkunst, sondern über das eigene Körpergewahrsein. Lernen wir unsere körperlichen Empfindungen (wie etwa Druck, Enge, Leere, Dichte, fliessen, kribbeln etc.) zu benennen, schafft dies eine sichere Verbindung zur Gegenwart. Die Wahrnehmungen auf besagter Ebene entsprechen jenen des limbischen Systems und somit den Wahrnehmungen unserer Urinstinkte. In dem wir diesen Empfindungen wieder Raum geben und über die Zeit lernen, sie schnell und präzise zu benennen, erfahren wir so etwas wie ein „Wieder-angeschlossen-sein“, eine Entschleunigung und ein besseres Gefühl für uns selbst.

 

Written by geraldine

August 25th, 2017 at 1:16 pm

Stress. Eine individuelle Reaktion.

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Wir alle kennen Stresssituationen: Eine hohe Belastung am Arbeitsplatz, privates Engagement, finanzielle Verpflichtungen; manchmal wird es einfach zu viel. Aber es gibt auch Momente in welchen wir das Gefühl von Stress zu empfinden obwohl es keine rationalen Gründe dafür gibt. Warum ist das so und was steckt dahinter?

Alle unsere Erfahrungen, positive wie auch negative, lösen sich nicht in „Luft“ auf, sondern addieren sich zu gespeicherten Gedächtnisinhalten in sogenannten Nervenzell-Netzwerken. Diese wiederum werden teilweise unbewusst abgerufen.

Im Moment der Ausrufung des Alarmsystems setzt im Grosshirn und im limbischen System eine massive Aktivierung von Genen ein. Die zuerst aktiven Gene gehören zur Gruppe der Sofortreaktionsgene, deren Produkte nach dem Schneeballsystem innerhalb der Zelle dann weitere Gene aktivieren.

Nervenzellen, die während einer Gefahrensituation aktiviert werden und bestimmte Gene anschalten, tun etwas für deren Selbsterhaltung. Die Proteine, die im Rahmen der Aktivierung von Genen hergestellt werden, dienen den Nervenzellen als Wachstumsfaktor und verstärken die Kontaktstellen, mit denen die Nervenzellen untereinander vernetzt sind.

Stellen Sie sich diese Nervenzellverbindungen einfach als einen dünnen Faden vor. Wird diese Verbindung immer wieder aktiviert, so wird sie stärker. Aus einem dünnen Faden wird ein dickes Seil.

Diese Nervenzell-Netzwerke werden somit als Folge ihrer Tätigkeit stabilisiert. Diese sind bedeutsam: Wenn sich alarmierende Erfahrungen oder Niederlagen im Leben eines Menschen häufen, werden die darauf spezialisierten Nervenzell-Netzwerke die Oberhand gegenüber anderen Netzwerken bekommen, deren Spezialität darin besteht, die Chancen und Bewältigungsmöglichkeiten einer Situation zu erkennen.

Einschneidende oder oft wiederholte Vorerfahrungen von Gefahr, Niederlage, Angst und Flucht verändern neuronale Netzwerke also in der Weise, dass Interpretation künftiger neuer Situationen Interpretationen die Oberhand haben, die wiederum in die gleiche Richtung gehen.

Eine solche Entwicklung aufzuhalten oder rückgängig zu machen ist eine der wichtigsten Aufgaben der Gesprächs- und Körpertherapie.

Nicht nur unsere ersten Lebensmonate, sondern auch jene im Mutterleib prägen unser hormonelles System. Ist eine Frau während der Schwangerschaft unter psychischem oder physischem Stress, wirkt sich das direkt auf das Stresssystem des Ungeborenen aus. Ist nach der Geburt genügend mütterliche Zuwendung durch Berührung und Nähe vorhanden, wird das Stress-Gen deutlich weniger aktiviert.

Die grosse Unterschiedlichkeit individueller Vorerfahrungen hat zur Folge, dass die Reaktion der neurobiologischen Stresssysteme von Person zu Person sehr verschieden ist. Untersuchungen haben gezeigt, dass Personen welche dem gleichen Ausmass an Stressintensität ausgesetzt sind, in der körperlichen Verarbeitung sehr unterschiedlich reagieren. Ebenfalls haben Untersuchungen an Zwillingen eine individuelle Stressreaktion gezeigt. Der Umgang mit Stress ist also nicht genetisch und somit nicht vererblich. Das verstärkt die Bedeutung der individuellen Vorerfahrung.

Dass zwischenmenschliche Bindungen die biologischen Stresssysteme schützen, gilt nicht nur für das Kind, sondern auch im späteren Leben. Bindungen und soziale Unterstützung haben sich in zahlreichen Studien als einer der wichtigsten Schutzfaktoren gegenüber extremen Ausschlägen der biologischen Stressreaktionen erwiesen.

Diese Erkenntnisse der Neurowissenschaft mögen schockierend sein, beinhalten aber auch die Chance zum Bewussten Handeln und Erleben. Das wirksamste Mittel für einen guten Umgang mit Stress sind also Begegnung, Beziehung und Berührung.