«Hier und Jetzt»: der Blog

Körpertherapie, Prozessbegleitung, Stressbewältigung

Archive for the ‘Depression’ tag

Unterfordert und gelangweilt: Boreout

leave a comment

In meinem letzten Beitrag habe ich Ihnen das Thema des Burnout-Syndroms nähergebracht. Heute möchte ich Ihnen das Boreout-Syndrom, das Gegenstück zum Burnout-Syndrom, näherbringen.

Das Boreout-Syndrom ist in seiner Definition noch relativ jung, beschreibt aber ein Phänomen, das leider öfter vorkommt als man denkt: Unterforderung und Langeweile am Arbeitsplatz. Gleich wie die Tatsache, dass übermässige, langandauernde Belastungen zu Müdigkeit, Lustlosigkeit und Frustration bis hin zu Anzeichen einer krankhaften Depression führen können, geschieht etwas sehr Ähnliches bei konträrer Ausgangslage.

Wir alle streben und sehnen uns nach einer Aufgabe, einer Tätigkeit, die uns erfüllt, befriedigt und uns auch das Gefühl gibt, ein wichtiges Glied in einer Kette zu sein. Bleibt uns dies verwehrt (quantitative oder qualitative Unterforderung am Arbeitsplatz), führt dies auf längere Zeit gesehen zu Desinteresse an der Arbeit oder dem Unternehmen, für welches wir tätig sind, zu Lustlosigkeit, etwas in Angriff zu nehmen oder auch zu Verzweiflung.

Auch wenn das Nachfolgende paradox erscheint und niemand gerne dazu steht oder darüber spricht, verfügen Menschen, die unter dem Boreout-Syndrom leiden, über ausgeklügelte Strategien, den Schein der „Auslastung“ zu wahren. Die Strategien sind klassisch: a) sich von weiterer Arbeit / Aufgaben fernhalten, b) darauf bedacht sein, genügend freie Zeit zu haben und c) den Job nicht zu verlieren. – Das Problematische für die betroffene Person ist die Tatsache, dass diese Strategien soviel Energie in Anspruch nehmen, dass die Kraft zur Veränderung fehlt. – Gute Ratschläge wie „Du könntest doch…“ oder „Mach doch mal…“ fallen auf fruchtlosen Boden.

Bevor Sie etwas gegen „diesen Zustand“ unternehmen können, ist es wichtig, wieder mehr Ressourcen im Alltag zu integrieren, sich etwas Gutes zu tun und Abstand zu nehmen. Versuchen Sie sich in dieser Zeit Notizen darüber zu machen, was Ihnen wirklich Freude bereitet, was Sie gerne machen würden und was Ihnen beruflich fehlt. Klarheit über die eigenen Gedanken, Bedenken, aber auch Hoffnungen helfen wieder Fuss zu fassen. Fragen wie etwa „Was will ich im Leben wirklich?“ geben die Gelegenheit, sich an die Dinge zurückzubesinnen, welche einmal wichtig waren. Der Schlüssel zur Bewältigung eines Boreouts liegt nicht im Druck von aussen, sondern in der Erkenntnis von innen.

 

Written by geraldine

Januar 19th, 2017 at 2:51 pm

Müde und ausgebrannt: Burnout

leave a comment

Entgegen der weitläufigen Meinung, ist Burnout nicht eine Krankheit, sondern ein Zustand körperlicher, emotionaler und geistiger Erschöpfung. Meist wird dieser Zustand durch berufliche Überlastung und Stress ausgelöst. Ein Gefühl von „Ausgebranntsein“ und der totalen Erschöpfung, machen die Bewältigung des Alltags schwer.

Aber was für Symptome lassen uns von einem „Burnout“ reden? Bezeichnend ist die emotionale Erschöpfung. Diese resultiert aus einer übermässigen emotionalen oder physischen Anstrengung oder Anspannung. Man fühlt sich schwach, kraftlos, müde und matt. Antriebsschwäche und leichte Reizbarkeit zeigen sich des öfteren als zusätzliche Begleiter. Desweiteren kommt die sogenannte „Depersonalisierung“ dazu. Gerade Personen welche mit Kunden, Klienten oder Patienten arbeiten, können bei Überlastung eine enorme Distanz zwischen sich und ihrem Gegenüber aufbauen; zunehmende Gleichgültigkeit und teilweise zynische Einstellungen gegenüber dem Vis-à-Vis erschweren die Situation zusätzlich. Die Arbeit kann nur noch durch Routine und Monotonie erledigt werden. Das Erleben von Misserfolgen ist das sogenannte „Pünktchen auf dem i“. – Betroffene fühlen sich häufig wie Hamster im Drehrad. Sie haben trotz der zunehmenden Überlastung häufig das Gefühl nichts zu erreichen oder bewirken. – Steigende Anforderungen und abnehmende Belastbarkeit, schwächen die Leistungen. Erfolgserlebnisse fehlen und der Glaube an den Sinn der eigenen Tätigkeit verliert an Relevanz.

Die Entwicklung von Massnahmen zur Vorbeugung und Behandlung besteht darin, Ausgleich zu schaffen. Entspannungs-, Atem- und Meditationsübungen sowie verschiedene sportliche Aktivitäten helfen. Dennoch treffen diese nicht den Kern des Problems. Bei einem Burnout handelt sich um ein subjektiv wahrgenommenes Auseinanderklaffen von externen (beruflichen) Anforderungen und individuellen Fähigkeiten; verbunden mit dem Gefühl der Ohnmacht.

Howard Gardner, Professor für Psychologie an der Harvard University liefert den Ausgangspunkt zum Konzept der sogenannten Selbststeuerung. Seiner Erkenntnis nach, basiert die Führung der eigenen Person auf drei fundamentalen Fragen 1. „Wer bin ich?“, 2. „Was will ich?“, und 3. „Wie erreiche ich effizient meine Ziele?“

Bestehen Unsicherheiten zur ersten Frage und damit über die eigene Identität, sind Auswirkungen im Selbstwertgefühl wahrnehmbar. Denn: Wenn jemand seine Stärken und Fähigkeiten nicht kennt und auch kein Rückmeldungen einfordert, können Selbst- und Fremdbild auseinander klaffen.

Eine Antwort auf die zweite Frage (Was will ich?) ist deswegen so wichtig, weil klare Ziele unsere mentale Energie mobilisieren. Fehlende Ziele, Werte und Perspektiven hingegen können teilweise erschreckend schnell zu emotionaler Erschöpfung führen.

Die dritte Frage nach der effizienten Vorgehensweise zur Zielerreichung zielt auf die Leistungsfähigkeit. Dahinter verbirgt sich das ökonomische Prinzip des sparsamen Umgangs mit mentalen und zeitlichen Ressourcen.

Der Lösungsansatz zur Bewältigung eines Burnout-Syndroms ist also mit existentiellen, teilweise sogar philosophischen Fragen verbunden. Das Thema des „sich mit seinem echten Menschsein“ auseinander zu setzen, steckt in unseren Breitengraden noch in den Kinderschuhen. Und dennoch: Eigenverantwortung lässt sich schlecht in Kinderschuhen tragen…

Am Rande bemerkt: Das Burnout-Syndrom kann ähnliche Symptome wie das Boreout-Syndrom aufweisen. Dieser Begriff (engl. Bore = langweilen) bezeichnet einen Zustand der beruflichen Unterforderung und Unzufriedenheit. Hohe Geschäftigkeit und reduzierte Leistungsfähigkeit sowie emotionale Erschöpfung begleiten hier den Alltag.

Lesen Sie mehr darüber im kommenden Post!

 

Wenn nicht nur das Wetter sondern auch die Stimmung drückt

leave a comment

Wieder ein regnerischer Tag. Draussen ist es dunkel und der Gedanke daran, aus den Federn zu steigen, lässt uns nur tiefer ins Kissen sinken. Das ist ganz normal. – Aber was, wenn uns auch bei schönem Wetter die Lust zum Aufstehen fehlt oder uns dieses Gefühl über Wochen hinweg begleitet?

Depressive Verstimmungen können viele Ursachen haben, sind oftmals aber auch gar nicht rational erklärbar. In unserer Gesellschaft scheint es wichtig, einen triftigen Grund für unser psychisches Unwohlsein zu deklarieren. Doch in vielen Fällen fehlt schlicht das logische Argument, da eigentlich alles „in Ordnung“ ist.

Dass die meisten von uns auf „hohem Niveau“ klagen, trifft wohl zu. Es heisst aber nicht, dass wir uns und unseren Leiden keine Beachtung schenken sollten. Gerade bei depressiver Verstimmung ist es wichtig, dass wir uns selbst ernst nehmen und auch ernst genommen werden.

Hinweise darauf, dass unsere Verstimmung behandelt werden muss, geben vor allem Symptome wie Schlafstörungen oder Müdigkeit sowie Interessens- und Antriebslosigkeit. Zudem kann ein Gefühl der Leere ein Signal sein, aber auch das Morgentief, die Suizid-Gedanken und sexuelle Unlust. Zudem können körperliche Symptome wie Druckgefühle auf der Brust oder in der Magengegend, schwere Glieder, Rückenschmerzen und/oder auch Verstopfung auftreten.

Wichtig ist, dass ich hier die klare Unterscheidung zwischen der depressiven Verstimmung und einer Depression, respektive dem jeweiligen Schweregrad mache. Gemäss dem ICD-10 – dem weltweit anerkannten Diagnoseklassifikationssystem der Medizin, das die WHO herausgibt – wird in leichte, mittelschwere und verschiedene schwere Episoden unterteilt. Dies ist insofern relevant, als die schweren Episoden unweigerlich in die Hände des Schulmediziners gehören. Dieser verwendet die Krankheitsbezeichnung „depressive Episode“ oder „rezidivierende depressive Störung“. Selbstverständlich kann die Naturheilkunde hier unterstützen. Dennoch muss in schweren Fällen der klassische Arzt den nötigen Boden gewährleisten, damit zusammen mit der Klientin oder dem Klienten ein solider und stetiger Aufbau möglich wird.

Nun aber zu den für Sie in Eigentherapie anwendbaren Vorschlägen:

 

  • Gespräche, vor allem mit jemandem, der Ihnen richtig zuhört
  • Gehen Sie an die frische Luft und machen Sie REGELMÄSSIG ausgedehnte Spaziergänge
  • Beziehen Sie Ihr Umfeld mit ein, sagen Sie Ihrer Familie und Ihren engsten Freunden, was Sie denken und fühlen
  • Nehmen Sie ein Johannes-Kraut-Präparat. Dies wirkt stimmungsaufhellend und lindert Begleitsymptome wie Schlafstörungen und Konzentrationsschwäche. Ihr Apotheker wird Sie gerne beraten.
  • Machen Sie das was Ihnen Freude bereitet

 

Die Naturheilkunde verweist seit langem auf einen engen Zusammenhang zwischen depressiver Verstimmung und Leberleiden – oft sowohl im energetischen wie auch im pathologischen Sinne – und verordnet demzufolge zur allgemeinen Tonisierung verdauungsfördernde und leberanregende Pflanzen. Zu den klassischen Mitteln gehören die Mariendistel, die Artischocke, der Enzian wie auch der altbekannte Löwenzahn.

Wie bei den klassischen Anti-Depressiva sollen pflanzliche Mittel über mehrere Wochen eingenommen werden. Die Wirkung, die im Allgemeinen nach zwei Wochen eintritt, wird bei einer Behandlungsdauer von sechs Wochen verstärkt.

Die Behandlung braucht Zeit, aber es lohnt sich diese zu investieren.

 

Embodiment – Wechselwirkung von Körper und Psyche

leave a comment

Verwendet wird diese neuere Erkenntnis vor allem in der Klinischen Psychologie, welche Körper und Psyche als Ganzes versteht. Nach der Theorie des Embodiment stehen diese beiden in gegenseitiger Wechselwirkung. Der Hirnforschung ist es zu verdanken, dass der Körper eine gleichberechtigte Position als Mitgestalter von psychischen Prozessen einnimmt. Psychische Zustände drücken sich im Körper aus und Gleiches gilt in umgekehrter Richtung.

Das Embodiment entspringt verschiedenen wissenschaftlichen Zweigen mit jeweils unterschiedlichen Betrachtungsansätzen und Beweislagen. Die Psychologie als empirische Wissenschaft bezieht sich nebst der subjektiven Beobachtung vorallem auf Experimente der Sozialpsychologie. Diese zeigen eindrücklich, wie unumgänglich die oben beschriebenen Wechselwirkungen sind.

Im Sinne eines exemplarischen Beispiels möchte ich nachfolgend eines dieser Experimente (Quelle: Maja Storch, Embodiment), welches Bezug auf die Körperhaltung und Emotion nimmt, vorstellen: Unter dem Vorwand einer Untersuchung zu räumlichem Denken wurden zwei Gruppen gebildet, welche sich den entsprechenden (aber für die Studie schlussendlich irrelevanten) Tests unterziehen sollten. Nach deren Beendigung wurde behauptet, dass nun zusätzlich exakte Messungen über die Muskelaktivität nötig seien und die Probanden unter Aufsicht acht Minuten lang in einer ihnen zugewiesen Körperhaltung verharren müssten.

Gruppe 1 wurde in eine gekrümmte Körperhaltung gebracht, Gruppe 2 in eine aufrechte. Nach den acht Minuten bat die Versuchsleitung die Testpersonen zum nächsten Test. Die Aufgabe bestand darin, sich unlösbaren geometrischen Puzzles anzunehmen. Die Versuchsleitung wusste nicht, ob sie es mit einer Versuchsperson der gekrümmten Gruppe 1 oder der aufrechten Gruppe 2 zu tun hatte. Nun ging es um das Durchhaltevermögen bei einer frustrierenden Aufgabe. Gemessen wurde, wie viele Puzzleteile die Versuchspersonen von einem Stapel nahmen, bis sie frustriert waren und die Arbeit an einem Puzzle beendeten und zum nächsten übergingen. Das Ergebnis war eindeutig: Gruppe 1, die zuvor acht Minuten gekrümmt verharrt hatte, bearbeitete im Schnitt 10,78 Teilchen vor dem Wechsel zum nächsten Puzzle. Gruppe 2, die vorher aufrecht gesessen war, hielt im Schnitt 17,11 Teilchen durch.

Das Bemerkenswerte an dieser Studie ist die Tatsache, dass der Übertragungseffekt auf eine vorher eingenommene Körperhaltung auftrat. Körperhaltung und Puzzle wurden in unterschiedlichen Räumen durch unterschiedliche Versuchsleiter begleitet.

Dieses Experiment zeigt, dass die Selbstwahrnehmung des Gekrümmtseins eine Prädisposition mit sich bringt, die, wie im Beispiel der schwierigen Puzzle-Situation, Hilflosigkeits- und Versagensgefühle fördert.

Durch die gekrümmte Körperhaltung werden im psychischen System Themen wie Depression, Aufgeben und Mutlosigkeit aktiviert, welche dann in der Voreinstellung schneller zu entsprechendem Verhalten führt, als dies ohne jene Voreinstellung geschehen würde.

Der hier klar dargelegte Zusammenhang von Körper und Psyche ist eindrücklich und gleichzeitig erschreckend. Wie oft finden wir uns in einer gekrümmten Körperhaltung, vor allem dann, wenn es uns nicht gut geht, wenn wir uns niedergeschlagen fühlen und sowieso meinen, nichts mehr geregelt zu kriegen? Die wissenschaftlichen Belege, dass die Psyche nicht nur in der Körperhaltung sichtbar wird, sondern auch die Körperhaltung auf unsere Psyche wirkt, sollte uns alle in jeder Situation zu einer grundsätzlich aufrechteren Körperhaltung führen.

Wenn wir damit beginnen könnten, die Welt anders als bisher zu betrachten oder Denkprozesse anderes zu lenken, wenn es uns gelänge, nicht immer mit den gleichen Gefühlen auf dieselben Auslöser zu reagieren oder vielleicht auch nur eine andere Körperhaltung einzunehmen, so hätte das enormen Folgen für alles, was auf der „Baustelle Gehirn“ passiert. Dann würden nicht nur diejenigen neuronalen Verschaltungsmuster umgebaut, die an dieser neuen Leistung beteiligt sind, sondern ebenso auch alle anderen, die damit auf irgendeine Weise in Verbindung stehen.

Written by geraldine

September 19th, 2016 at 10:56 am

Winterdepression – wenn sich der Rhythmus verschiebt

leave a comment

Obschon ein Jetlag für unseren Organismus eher ungewöhnlich ist, so lässt sich dieser doch auch mit dem Wandel der Jahreszeiten vergleichen. Das geht dann einfach viel langsamer.

Denn obwohl der Zeitpunkt des Zubettgehens oft stark variiert, stehen die Menschen an den meisten Tagen ungefähr um die gleiche Zeit auf. Im Winter bedeutet dies in nördlichen Breiten, schon zwei bis drei Stunden vor Sonnenaufgang wach zu sein. Der Schlafrhythmus ist damit mehrere Zeitzonen entfernt von seinem äusseren Taktgeber, dem Tageslicht.

Die Diskreptanz zwischen physikalischer Tageslänge und notwendiger „Alltagslänge“ könnte die Ursache für körperliche und psychische Beschwerden sein. Umgangssprachlich auch Winterdepression genannt. – In nördlichen Breiten leiden zwehn bis dreissig Prozent der Erwachsenen in den Monaten Oktober bis März an depressiven Verstimmungen mit Gewichtszunahme, Apathie und Müdigkeit.

Im Winter erst bei Sonnenaufgang aufzusehen würde die Symptomatik lindern und den Organismus besser in seinem natürlich vorhandenen Rhythmus halten.

Written by geraldine

November 16th, 2015 at 1:34 pm

Antidepressiva: JA oder NEIN?

leave a comment

An dieser Stelle möchte ich meine persönliche Meinung zur Behandlung mit Antidepressiva transparent machen: Grundsätzlich halte ich es, gerade in einer akuten Depressionsphase, für ratsam eine Behandlung mit Antidepressiva in Betracht zu ziehen. Hierbei anzuwägen gilt aber auch immer der Schweregrad einer solchen Erkrankung. Leichte und mittelschwere Depressionen können nach meiner Erfahrung gut mit Medikamenten auf der Basis von Johanniskraut behandelt werden. Die antidepressive Wirkung dieser Pflanze konnte mehrfach in sogenannten Doppelblindstudien nachgewiesen werden. Handelt es sich aber um eine schwere Depression welche das Leben soweit einschränkt, dass weder der Arbeit noch dem Privatleben adäquat nachgegangen werden kann, sollte man sich mit einer Fachperson über die Einnahme von pharmazeutisch antidepressiven Mitteln unterhalten.

Mittelfristig, und das gilt für alle Formen der Depression, sollte aber therapeutische Hilfe in Anspruch genommen werden. Regelmässige Sitzungen geben nicht nur Halt in einer schwierigen Zeit, sondern geben auch Verhaltensstrategien mit auf den Weg. Fast jeder Depression liegen unterschwellige Belastungen zugrunde. Diese sollten mit Sorgfalt und Bedacht zusammen mit dem Therapeuten (Gesprächs- oder Körpertherapie) aufgearbeitet werden damit ein späterer Rückfall vermieden oder in seiner Intensität verringert werden kann.

Written by geraldine

Oktober 22nd, 2012 at 12:38 pm

Neue Zweifel an der Wirkung von Antidepressiva

leave a comment

Aus dem TagesAnzeiger vom 19. Oktober 2012

Studien haben den Expertenstreit um die Wirksamkeit von Therapien gegen Depressionen neu entfacht. Kritiker glauben, dass Medikamente nicht mehr helfen als Behandlungen mit Placebos.

Auf den ersten Blick sieht es nach einer dringend benötigten guten Nachricht für die Verfechter von Antidepressiva aus: Zwei der am häufigsten verschriebenen Mittel seien «bei Depressionen wirksam», bilanziert eine unlängst erschienene Auswertung im renommierten Fachblatt «Archives of General Psychiatry», die auf Daten von gut 9000 Studienteilnehmern beruht. Die Studie bestätige frühere Ergebnisse nicht, nach denen Antidepressiva ausser bei schweren Depressionen kaum helfen würden, schreibt das Autorenteam um Robert Gibbons von der University of Chicago.

Was für Aussenstehende überraschend klingen mag, könnte für manche Psychiater tatsächlich so etwas wie eine Entwarnung sein. Der Grund: In den letzten Jahren zeigten verschiedene Studien, dass die Wirkung von Antidepressiva im Vergleich zu Placebos bescheiden ist – und haben damit unter Fachleuten eine Kontroverse ausgelöst. Doch die neue Studie wird die Auseinandersetzungen nicht beenden. Im Gegenteil, wie die Reaktion von Irving Kirsch zeigt. Der Psychologieprofessor von der University of Plymouth findet in seinen Studien bei Antidepressiva seit Jahren eine bestenfalls bescheidene Wirksamkeit. Zur Analyse des Gibbons-Teams vermerkt er trocken, deren Ergebnisse seien auch nicht besser. «Der einzige Unterschied zwischen ihren Resultaten und unseren ist, dass sie es einen Erfolg nennen.»

Häufig verschrieben

Der Expertenstreit ist für viele Menschen von enormer Bedeutung. Etwa jeder Sechste erkrankt mindestens einmal im Leben an einer Depression. Antidepressiva tragen mit dazu bei, dass Medikamente gegen psychische Erkrankungen in der Schweiz heute die Verschreibungsstatistik anführen. Mit einem Marktanteil von fast 17 Prozent liegen sie deutlich vor Mitteln gegen Herzprobleme oder Infektionen. Besonders häufig werden Antidepressiva älteren Menschen verordnet. Doch ausgerechnet in dieser Altersgruppe kann auch die Gibbons-Studie keinen Nutzen belegen.

Die Mittel haben es schwer in Untersuchungen, weil etwa 30 Prozent der Depressiven auch mit einem Placebo aus der Krise herauskommen. Daran gemessen wirkt die Erfolgsquote der Medikamente von 43 Prozent in der neuen Studie recht mässig. Ein Dilemma für Fachleute wie Erich Seifritz von der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich. Er ist überzeugt, dass «die realen Effekte grösser sind». Allerdings lassen auch die Wirkungen unter Alltagsbedingungen zu wünschen übrig, wie die realistisch angelegte Star-D-Studie zeigt. In diesem Grossversuch des amerikanischen National Institute of Mental Health (NIMH) hatte nach einem Jahr nur jeder Vierte seine Depression ohne Rückfall überwunden.

Dazu kommen die Nebenwirkungen. Die in den 80er-Jahren eingeführten Wirkstoffe quälen die Patienten zwar weniger als ihre Vorgänger mit Mundtrockenheit, Verstopfung und Sehproblemen. Doch auch Fluoxetin (Prozac) und seine Verwandten fordern ihren Preis. Schon lange ist bekannt, dass sie nicht nur für Magenbeschwerden und mangelnden Appetit sorgen können, sondern auch für sexuelle Probleme. Und je genauer Forscher hinsehen, desto mehr verborgene Risiken finden sie.So untersuchten Forscher mehrerer taiwanischer Universitäten um Chia-Ming Chang, wie sich Antidepressiva auf die Fahrtauglichkeit auswirken. Ergebnis der gerade online vorab veröffentlichten Studie mit Daten von über 36’000 Autofahrern: Wer die Pillen schluckt, verursacht fast doppelt so oft einen Unfall. Um auszuschliessen, dass dafür die Depressionen selbst verantwortlich sind, erfassten die Forscher die Besuche bei Psychiatern und korrigierten ihre Ergebnisse entsprechend.

Abwägen bei Schwangeren

Gleich eine ganze Welle von neuen Studien legt Vorsicht beim Einsatz in der Schwangerschaft nahe. Bei den werdenden Müttern erhöhen Antidepressiva die Gefahr, an Bluthochdruck zu erkranken. Bei den Babys wiederum wird häufiger Lungenhochdruck registriert. Ausserdem wächst die Gefahr einer Frühgeburt. Andererseits ist eine unbehandelte Depression nicht nur für die Mutter schlecht, sondern auch für das Baby. Es wächst im Mutterleib nicht so gut, und nach der Geburt tun sich depressive Mütter oft schwer, auf die emotionalen Bedürfnisse ihres Kindes einzugehen. Für Seifritz ist die «medikamentöse Therapie immer ein Abwägen zwischen verschiedenen Risiken für Mutter und Kind». Seiner Meinung nach gehört die Behandlung von Schwangeren und Stillenden mit Depressionen in die Hand des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie, oder zumindest sollte ein solcher in die Therapieentscheidungen einbezogen werden.

In jedem Fall besteht eine zeitgemässe Depressionstherapie nicht nur aus Pillen. Darüber sind sich die meisten Fachleute einig, auch wenn in der Praxis viele Patienten allenfalls noch ein paar tröstende Worte vom Arzt bekommen. Bei leichten Depressionen kann zunächst sogar ganz auf Medikamente verzichtet werden. Bessert sich der Zustand nicht, empfehlen Experten Antidepressiva, Psychotherapie und soziale Unterstützung zu kombinieren.

Sport statt Psychotherapie?

Solch eine umfassende Strategie ist momentan die beste Wette. Wie sehr und vor allem warum die kombinierten Massnahmen helfen, ist allerdings eine andere Frage. Skeptiker Kirsch hat dazu gerade zusammen mit Arif Khan eine neue Analyse veröffentlicht, die auf Daten von 24’000 Patienten beruht. Demnach schneidet die Kombination von Medikamenten und Psychotherapie in vielen Studien vor allem deshalb am besten ab, weil die Ärzte dies glauben und bei der Einschätzung des Therapieerfolgs wissen, wie der Patient behandelt wurde. Wissen sie es nicht, ist die Kombination Medikamenten oder Psychotherapie allein kaum noch überlegen. Und weder Medikamente noch Psychotherapie sind dann besser als Sport, Akupunktur oder Pseudobehandlungen.

Wenn so unterschiedliche Behandlungen aber gleich wirken, argumentieren die Forscher, kommt es womöglich gar nicht darauf an, was gegen Depressionen unternommen wird. Sie greifen damit eine These auf, die der renommierte Psychiatrie-Professor Jerome Frank vor einem halben Jahrhundert in seinem Buch «Die Heiler» entwickelt hat: Entscheidend sei, dass der Patient gründlich untersucht werde, eine Erklärung für sein Leiden erhalte, Hoffnung schöpfe und schliesslich ein therapeutisches Ritual mit einem anerkannten Experten praktizierte. Ob der Spezialist eine Arznei verabreicht oder Akupunkturnadeln sticht, ist nicht wichtig, solange der Patient daran glaubt. Mit dieser Erklärung der Erfolge der Depressionsbehandlung dürfte für weitere Diskussionen gesorgt sein.

Written by geraldine

Oktober 22nd, 2012 at 12:21 pm